UN beschließen historisches Abkommen 7. Juli 2017 122 Staaten haben am Freitagmorgen bei den Vereinten Nationen in New York einen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen verabschiedet. Nach Jahrzehnten stockender Abrüstung senden sie eine klare Botschaft an die Atomwaffenstaaten... mehr

IFFF/WILPF

Die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit ist eine internationale Nichtregierungsorganisation mit nationalen Sektionen in über 40 Ländern und allen Kontinenten dieser Welt. Die IFFF/WILPF besitzt Beraterstatus* bei verschiedenen Gremien der Vereinten Nationen (UN) mit einem internationalen Büro in Genf und einem New Yorker Büro, das sich vor allem der Arbeit der UN widmet.

WILPF ist die älteste Frauen-Friedensorganisation der Welt. Seit ihrer Gründung mitten im ersten Weltkrieg 1915 in Den Haag richtet sie sich gegen alle Formen von Krieg und Gewalt. Sie war maßgeblich an der Gründung der Vereinten Nationen (UN) beteiligt. Die IFFF/WILPF beteiligt sich an internationalen Kongressen und Weltfrauenkonferenzen und setzt sich auf nationaler Ebene für ihre Ziele ein. Mehr über WILPF ›

Aktion Aufschrei

Bundesweite Veranstaltungstermine der Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel unter: http://www.aufschrei-waffenhandel.de/Veranstaltungstermine.69.0.html.

Neuigkeiten

15.04. 2008

Jüdinnen, die auch arabisch sind

Der enge Raum zwischen Eurozentrismus, Orientalismus und Islamophobie: Im Mizrahim-Frauenzentrum in Tel Aviv werden feministische Werte kämpferisch umgesetzt, die weder weiß noch westlich sind. Eine Reportage von Kerstin Kellermann in an.schlaege, das feministische Magazin.

Eine kleine Straße in Tel Aviv, in der Nähe des Zentralen Busbahnhofs. Eine Schaufensterpuppe dominiert die Auslage eines Geschäftslokals. Sie ist schwarz gekleidet und schwarz verschleiert und durch die erhöhte Position und die anklagend ausgestreckten Arme sieht sie etwas furchteinflößend aus. „Ist das da drüben das Autonome Frauenzentrum der Mizrahim, der orientalischen Jüdinnen?“, frage ich eine Gruppe afrikanischer Flüchtlinge, die auf der anderen Straßenseite auf Schemeln vor einem Supermarkt in der Sonne sitzen. Breites Grinsen ist die Folge: „Trauen Sie sich nicht hinein? Brauchen Sie eine Eskorte?“
Drinnen auf dem großen Plenum geht es heftig zu. In alter, wohl vertrauter, feministischer Tradition werden Vorwürfe vorgebracht. „Ihr bedenkt die Dynamik der Geschichte nicht! Ohne die ist die momentane Konstruktion aber nicht zu verstehen!“, ruft eine ältere Frau mit kurzen weißen Haaren. Dann zählt sie eine Reihe von Punkten auf, die sie zur Analyse des aktuellen Problems wichtig fände. Eine Gruppe von Frauen, die auf dem Sofa sitzt, schüttelt einhellig die Köpfe. Weitere Argumente folgen. Es wird im großen Kreis unterschiedlichster Frauen eine feministische Konferenz für den Herbst vorbereitet. Eine Frau stillt ihr Baby, andere kosten von den selbst gemachten Süßigkeiten, die auf dem Tisch stehen. Große Frauenporträts hängen in goldenen Rahmen an der Wand.

Kommunikation gegen Konflikte.
„Feminismus war damals für mich eine Offenbarung wie Amerika für Kolumbus. Ich überquerte den Rubikon, um niemals zurückzukehren. Feminismus bedeutete für mich, so wie für Archimedes in anderem Zusammenhang, einen Punkt zu haben, auf dem du stehen kannst – dann kannst du die ganze Welt aus den Angeln heben“, schwärmt die 68jährige Esther Eillam, deren Familie mütterlicherseits „nach Auschwitz ging“. Die kämpferische Esther gründete 1971 die erste feministische Gruppe in Tel Aviv. „Ich las über eine Women’s Lib-Gruppe, die die spätere Parlamentsabgeordnete Mascha Friedman in Haifa gegründet hatte. Erste Themen betrafen den Kampf gegen das Patriarchat, besonders das Thema Abtreibung oder Gleichberechtigung vor dem Gesetz. Damals regelte das orthodoxe Gesetz viele persönliche Dinge wie Ehe, Scheidung, Geburtsregistrierung oder Begräbnis.
Ab 1976 begannen wir mit den Schutzhäusern für geschlagene Frauen, dann wurde ich Koordinatorin für das erste Rape Crise Center.“ Die fünffache Großmutter entschuldigt sich beinahe für ihren Ehegatten: „Ich bin Feministin und Anarchistin und immer noch mit dem gleichen Mann verheiratet …“ Esther hat auch zum andauernden Konflikt Israel/Palästina eine deutliche Meinung: „Frauen sind sozial eher auf Frieden eingestellt und auf Konfliktlösung durch Kommunikation. Im Konflikt Israel/Palästina wird viel männliche Begrifflichkeit in Richtung auf Krieg und Kampf hin verwendet. ‚Intifada’ (Anm.: wörtlich „Abschütteln“) ist z. B. ein männlicher Terminus – ich will diese Begriffe nicht.“

Kampagne und Berufung.
Von diesem Frauenzentrum in Tel Aviv ging schon im Zuge öffentlicher Kampagnen großer politischer Einfluss aus. Zwei hohe Politiker mussten wegen sexueller Belästigung die Konsequenzen ziehen. Esther erklärt: Israels Ex-Justizminister „Ramon küsste eine Soldatin einfach auf den Mund. Vor Gericht wurde er schuldig befunden, er wurde zu sechs Monaten sozialer Arbeit verurteilt, die er in einem Stall mit Pferden abzuleisten vorzog. Es gibt eine Mizrahim-Gruppe von Anwältinnen, die jetzt Berufung eingelegt und ein Ansuchen an den Obersten Gerichtshof gestellt hat.
Die Geschichte mit Kazav und der Belästigung seiner Angestellten war nicht so zufriedenstellend, er musste bloß zwei Wochen früher in Pension gehen. Es gab einen Handel und viele NGOs gingen dagegen in Berufung. Der Oberste Gerichtshof wird nun entscheiden. Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes ist eine Frau, die mit mir das erste Krisenzentrum gegen Vergewaltigung gründete und wir hoffen, dass sie loyal und ihrem Herzen treu geblieben ist ...“
Das Zentrum organisierte auch eine Koalition für eine Präsidentin, aber Simon Peres wurde eben von mächtigeren Gruppen unterstützt. In einem Frauen-Parlament wurden sechs Frauen als Kandidatinnen präsentiert, die Künstlerin Shula Keshet hatte Esther vorgeschlagen. Shula, die während des Interviews neben uns auf einem Sofa thront, nickt hochzufrieden.

Konferenzen und Bündnisse.
1984 wurde die Israelische Frauen-Lobby gegründet, 1991 eine Gruppe mit Prostituierten gegen Frauenhandel. Die speziellen Angelegenheiten der Mizrahim, der Jüdinnen, deren Eltern aus arabischen Ländern, dem Iran, Irak, Yemen und der Türkei stammten, liegen der aus Thessaloniki stammenden Esther besonders am Herzen. In Israel dominieren die Ashkenasi, Jüdinnen aus Deutschland, Polen oder Russland. „In all diesen Jahren veränderte sich die Welt sehr stark, auf globale Weise. Jede versteht inzwischen mehr über Orientalismus, wozu die Forscherin Ella Schahed aus New York einiges beigetragen hat“, meint Esther.
Bei den großen feministischen Konferenzen 1993 und 1994 nahmen Ashkenasi, Mizrahim und Palästinenserinnen als gleich große Gruppen teil. Doch erst ab 1999, als die Mizrahim unübersehbar wurden und im Jahr 2000, nachdem auf einer feministischen Konferenz die Entscheidung zur Unterstützung der Fabrikarbeiterinnen, unter denen es viele Mizrahim gibt, in der Peripherie gefallen war, wurden die Mizrahim akzeptiert. „Wir etablierten eine wirklich radikale Art des Denkens, was es bedeutet, eine Mizrahim zu sein. Vorher war es schwer mit den Ashkenasi.“
Esther unterscheidet zwischen einem generellen und einem spezifischen Konzept des Feminismus. „Aber was ist das generelle Konzept? Es ist das weiße, westliche Konzept, dabei reden wir von universellen Werten. Und die Welt ist zu einem Großteil weder weiß noch westlich. Die Europäerinnen versuchen hegemonial zu sein. Aber eigentlich sind wir hegemonialer, weil wir mehr Leute sind, antworte ich ihnen. Wir stellten alle Frauen auf die Landkarte, die nicht weiß, nicht westlich sind. Wir arbeiten mit Frauen aus dem Kongo und Äthiopien zusammen.“ Sie kritisiert auch die Männer: „Mizrahi Männer kämpfen ebenfalls für soziale Gerechtigkeit, aber sie kooperieren genauso wie palästinensische oder homosexuelle Männer mit dem Patriarchat, das, aus den Prinzipien heraus, auf denen es beruht, voller Hierarchien ist und Unterdrückung bedeutet. Die fordern das Patriarchat nicht heraus.“
Esther formuliert auch Kritik am engen Raum zwischen Eurozentrismus, Orientalismus und zunehmender Islamophobie: „Die linken Ashkenasi Frauen sind mit einigen Mizrahim Frauen in den Dialog mit den Palästinenserinnen getreten, übernahmen aber die Leitung. Mir schien es so, als ob sie über unsere Köpfe hinweg mit den Palästinenserinnen sprechen würden. Inzwischen ist es besser geworden. Wir sind jüdische Frauen, die auch arabisch sind, das ist schwer für sie, das macht ihnen Angst.“


In der Ausstellung „Overlapping Voices. Israeli and Palestinian Artists“ ist von 15. Mai bis 26. Oktober in der Sammlung Essl als Teil der Videoinstallation „some stories“ des rites-institute ein Interview mit Esther Eillam zu sehen.

http://www.anschlaege.at

Erschienen in an.schläge 4/2008, Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Alle Meldungen