nachhaltige Landwirtschaft
Deutsch-Polnischer Herbstmarkt in Widuchowa
Am Samstag, den 18.September 2004 fand in Widuchowa an der Oder, 38 km südlich von Stettin und 18 km nördlich von Schwedt der 2. Deutsch-Polnische Herbstmarkt statt.
Eingeladen hatte der Verein „Stary zagon“ (Alter Schauacker), den das polnisch-deutsche Paar Saba und Jens Keller zur Förderung ihrer Gegend und der Regionalentwicklung ins Leben gerufen haben.
Stary zagon (der alte Schaugarten) ist ein Verein zur Förderung der nachhaltigen Landwirtschaft. Er soll in Gegenden hoher Arbeitslosigkeit  die Bewohner dazu anregen,  alte Kulturpflanzen zur Herstellung hochwertiger Lebensmittel zu nutzen und dadurch die Entwicklung des Agrotourismus fördern. Langfristiges Ziel ist vor allem  eine Verdienstmöglichkeit  für Frauen zu schaffen, die sich über ihre eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten oft wenig bewusst sind.

Auf ihrem schönen Grundstück, einem kleinen Hof am Ortsende auf dem hügeligen Ostufer der Oder hatten sich zahlreiche Kleinbauern und –bäuerinnen sowie Handwerker und Künstler aus der näheren und weiteren Umgebung zusammen gefunden, um ihre Waren anzubieten: Neben Handwerksarbeiten wie z.B. Körben oder Holzfiguren gab es eine Vielzahl von Verkaufsständen mit Obst, Gemüse und Kartoffeln etc., einen Biobäcker mit Vollkornbrot und –kuchen und andere Stände mit weiteren ökologischen Lebensmitteln wie Honig oder Ziegenkäse.
„Ökologisch muß sich lohnen“ ist das Leitmotiv mit dem die Vereinsinitiatoren die Menschen der Region aus der Verzagheit infolge anhaltender Erwerbslosigkeit zu holen versuchen.  Dabei halfen auch der Klavierstimmer aus Stettin oder ein Rheinländer aus Prenzlau, der sich darauf spezialisiert hat, ausgesprochen ausgefallenes Gemüse wie herzförmige Tomaten und längliche Kartoffeln an Berliner Spitzenhotel-Restaurants zu vermarkten und dafür bei den Bauern der Region beidseitig der Oder ganze Chargen bestimmter Gemüsesorten bestellt.

Doch gab es auch Info-Stände und eine Ausstellung über die landwirtschaftliche Situation der Region.  Auf einer nur wenige Schritte entfernten „Lesewiese“ wurden sorbische Märchen auf deutsch erzählt und Saba Keller las aus der polnischen Ausgabe von Fontanes „Effi Briest“ vor.  Auch für die Kinder war ein Programm  zusammengestellt worden, wie Malen in der Grünen Grotte oder Kutschenfahren. Natürlich wurden die Besucher den ganzen Tag über verpflegt, mit Piroggen, Würstchen, Spießen und der Neuerfindung der Initiatorin Saba Keller, den   „Findlingen“ – einem Gericht aus den in Polen noch nicht ausgestorbenen Gerstengraupen mit verschiedenem Gemüse wie Steckrüben und Zucchini. In Alufolie verpackt schmoren die Knödel in der Glut, bis sie zum Verzehr herausgenommen werden. 

Dieser Jahrmarkt zeugt von der Tüchtigkeit und Engagement Saba Kellers und lässt sich neben anderen Promotionsveranstaltungen und organisierten Programmen im „Klub der jungen Ökologen“, eine Initiative des Gemeinderates als gutes Beispiel für die Früchte ihrer unermüdlichen Arbeit anführen. Jedoch stellen mangelhafte Infrastruktur in dieser Region, fehlende Versammlungsräume oder die Gleichgültigkeit der Behörden gegenüber ihres Projektes für Saba Keller bei der Realisierung ihrer Ideen große Hindernisse dar. Und das sind nicht die einzigen Probleme, mit denen sie zu kämpfen hat: Die passive Haltung der Bewohner machen ihre Arbeit ebenfalls nicht leichter. Die Menschen wünschen zwar, dass es Arbeit gibt, tun jedoch nichts dafür. Sie sind alle 1945 hierher zwangsumgesiedelt worden und stammen aus den verschiedenen Teilen des polnischen Ostens, also jener Gebiete, die Polen 1945 an die Sowjetunion abtreten mußte. Die Menschen mußten ihre angestammten Höfe, Dörfer und Städte aufgeben und kamen – zusammengewürfelt aus verschiedenen Gegenden mit unterschiedlichen Dialekten - hier in Pommern an. Obwohl die DDR und 1973 auch die Bundesrepublik die Oder als endgültige Grenze anerkannten, haben die Menschen in dieser Gegend – wie auch in den anderen ehemaligen deutschen Gebieten Polens- bis heute Angst, von den Deutschen wieder vertrieben und aus ihren Häusern gejagt zu werden. Das förderte eine Resignation, die erst einmal überwunden werden muß. Es war beispielsweise nicht einfach, die Menschen zur Mitarbeit einer von Saba Keller gegründeten Landfrauengruppe zur Nutzung alter Kulturpflanzen zu bewegen. "Solange die Menschen nur über den Zaun hinweg meckern und ihnen aber nicht bewusst wird, dass sie tatsächlich etwas verändern und dass sie auch Einfluss nehmen können, passiert nicht viel."

Als zwangsläufig "Zugpferd" ihres Vereins lässt sich Saba Keller aber nicht entmutigen: Sie lebt den Menschen, besonders den Frauen ihrer Region vor, was sie ihnen empfiehlt: ganz klein anfangen mit den lokalen Ressourcen der Haushalte und Gärten und sich durch Eigenarbeit und lokale Vermarktung aus der Lethargie heraus arbeiten... So hofft Saba Keller der allgemein und vor allem auch mentalen Krise infolge der grassierenden Erwerbslosigkeit – sie liegt in den Dörfern hier wie jenseits der Oder bei 50 % und drüber – entgegen arbeiten zu können.