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Wurzeln schlagen in der Fremde
Die "Internationalen Gärten" und ihre Bedeutung für Integrationsprozesse

Müller, Christa
ökom, München 2002, 176 S.,
ISBN 3-928244-82-5
16 €

Deutschland: ein Einwanderungsland. Damit Integration nicht nur eine Leerformel bleibt, haben Flüchtlinge bereits 1996 die Internationalen Gärten Göttingen initiiert. Sie wollten ihr Leben auch im Exil wieder selbst in die Hand nehmen. Heute prägen mehr als 300 Menschen aus 20 Ländern die soziale Praxis der Internationalen Gärten. Über die Berührung von so elementaren Dingen wie Erde und Pflanzen entstanden neue Verbindungen und Verwurzelungen - und ein Konzept, das den biologischen Gartenbau mit handwerklichen, ökologischen und umweltbildenden Aktivitäten verknüpft.

Die Soziologin Christa Müller präsentiert die Erfolgsstory dieses innovativen Integrationsprojekts. Ihr Buch bietet neben fundierten Hintergrundinformationen die wissenschaftliche Auswertung der Projektpraxis sowie einen großen Serviceteil, der als Arbeitshilfe zum Nachmachen für alle, die selbst eine Internationale Gärten aufbauen möchten, konzipiert ist. Die Autorin beleuchtet die vielfältigen Prozesse des interkulturellen Austauschs zwischen Flüchtlingen, MigrantInnen und Deutschen aus verschiedenen Perspektiven und stellt sie in ihrer Bedeutung für die Einwanderungsdebatte in Deutschland dar.

Dieses Buch zeigt, dass Integration dann aussichtsreich verläuft, wenn die EinwanderInnen selbst die Alltagskultur im Aufnahmeland mitgestalten. Und ihnen darüber eine neue Verwurzelung des eigenen Lebens gelingt.

 (Bianca)

Nichts vermissten sie mehr als die Gärten aus ihrer vom Krieg zerstörten Heimat, berichteten bosnische Flüchtlingsfrauen 1995 in Göttingen, und legten damit selbst die Saat für ein außergewöhnliches Projekt. In den „Internationalen Gärten Göttingen“ sind heute mehr als 300 Menschen aus 20 Ländern aktiv. Sie haben damit sich selbst geholfen, Wurzeln geschlagen und auf außergewöhnliche Weise gezeigt, wie es möglich ist, in sinnvollem Tun wieder zu sich selbst zu finden sowie anderen Menschen und Kulturen zu begegnen. Auf der Basis von biologischem Landbau, handwerklicher Eigen- und selbst konzipierter (Umwelt-)Bildungsarbeit sind neue Handlungsräume und Begegnungsmöglichkeiten entstanden. Physisch wie psychisch erfahrener Gewalt, die der Verlust der Heimat mit sich bringt, wird so selbstheilend entgegen gewirkt. Persönliche Souveränität, so eine zentrale Erfahrung der GärtnerInnen, ist Voraussetzung gelingender Integration. Erfahren wird sie im gemeinsamen Erleben von Aussaat, Garten-, Fruchtpflege und Ernte ebenso wie im Gespräch und im Feiern von Festen.

Mit großem Engagement, sachlich fundiert und vor allem darauf bedacht, auch die Beteiligten selbst zu Wort kommen zu lassen, berichtet Christa Müller über dieses Projekt. Als Mitarbeiterin der Forschungsgesellschaft anstiftung (München) versteht sie es ausgezeichnet zu vermitteln, welche Bedeutung die unterschiedlichen Kompetenzen der zu „Integrierenden“ etwa auch für die beteiligten MitbürgerInnen aus Deutschland haben. Indem verschiedene Erfahrungen und Lebensstile (im Umgang mit Zeit, in der Setzung von Prioritäten) aufeinander treffen, öffnen sich Horizonte und werden Vorurteile abgebaut. Verbindendes, aber auch Differenzen werden auch im Austausch über die „Grüne Sprache“ der verschiedenen Kulturen ausgemacht, indem man auf Saatgut aus den Herkunftsländern zurückgreift oder aber Erkenntnisse aus der „neuen Heimat“ aufgreift.

Charakteristisch für die Arbeit in den „Internationalen Gärten“ ist der „aufs Ganze“ zielende Ansatz, denn neben – selbstverständlich ‑ ökologisch ausgerichteter „Feldarbeit“ werden Sprach- und Alphabetisierungskurse angeboten, Hilfestellungen bei der Verarbeitung von Fluchttraumata geleistet oder die berufliche Neuorientierung unterstützt. Da es neben zahlreichen offiziellen Auszeichnungen – 2001 Bundessieger des Förderpreises „Aktive Bürgerschaft“, 2002 Integrationspreis des Bundespräsidenten – zudem starkes Interesse an der Initiierung ähnlicher Projekte gibt (rund 200 Anfragen liegen bereits vor), nimmt zunehmend auch die Öffentlichkeitsarbeit breiten Raum ein.

Abgerundet wird dieser rundum empfehlenswerte Band durch einen Blick auf den Zusammenhang von Migration und Umweltkrise im Kontext ökonomischer Globalisierungsprozesse und den wachsenden Widerstand dagegen. Das abschließende Kapitel ist nachfolgeorientiert: Neben dem Statut des Vereins und diversen Checklisten, die beim Aufbau von neuen „Internationalen Gärten“ dienlich sind, gibt es weiterführende Tipps für jene, die sich selbst auf den Weg machen wollen. Um mit Robert Jungk zu schließen: Projekte wie diese sind „Saatkörner der Hoffnung“. Ihnen sind viele pflegende Hände zu wünschen.

Walter Spielmann


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